Kompromisse finden, abzuwägen, aufeinander zugehen, war noch nie so wichtig wie heute. Politische oder weltanschauliche Gegensätze trennen soziale Netzwerke. Spalten trennen ganze Bevölkerungsgruppen. Polarisierung der verschiedenen Lager schwächen den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Gruppenbildungen erschweren die Identifikation mit dem Ganzen eines Sozialwesens. Dabei ist es gleichgültig, ob es sich um ein staatliches Gebilde, die Kirche oder einen Verein handelt.

Aus der Geschichte wissen wir, wie schnell es zu Spaltungen kommen kann. Manchmal selbst dann, wenn man keine Spaltung möchte. Die jetzt 500 Jahre alte Trennungsgeschichte der Kirche in evangelisch und katholisch zeigen uns, wie schnell und unabsichtlich so etwas gehen kann. Und wie schwer es dann ist, wieder eins zu werden, trotz erklärtem Willen. Zu unterschiedlich, ist zwischenzeitlich, durch Abgrenzung entstandene Entwicklung der beiden christlichen Kirchen.

Eine zentrale Botschaft des Glaubens an einen Gott ist es. Alle Menschen als eine Menschheit anzusehen. So wurden alle Menschen von einem Gott geschaffen, haben einen Ursprung und ein Ziel. Diese Sicht hat als Konsequenz die Geschwisterlichkeit aller Menschen. Aufgabe aller, die diese Sicht teilen, die Sicht von einem Ursprung, ist die Überwindung von Trennung, von Mauern und Spaltungen. So dass jeder dazugehört.

Deshalb ist es angesagt, im Vorfeld alles zu unternehmen, dass es erst gar nicht zu einer Spaltung kommt. Der Königsweg dazu ist es Kompromisse zu finden. Brücken erst gar nicht abzubauen und seien sie noch so schmal. Dazu braucht es Leute die sich sozusagen an den „Rändern“ der rivalisierenden Gruppen befinden. Leute an den Rändern, die in ihrer Gruppe akzeptiert und anerkannt sind. Sie können nach „innen“, zur eigenen Gruppe und nach „außen“, zu den „Andern“ hin vermitteln.

Der Apostel Jakobus, Herrenbruder genannt, hatte diese Fähigkeit. Er agierte mit einem Kompromissvorschlag und das genau zur richtigen Zeit. Genau dann, wo wie ein Damoklesschwert die Spaltung über der jungen Christenheit hing. Diese Stärke macht ihn für die Christenheit zu einem bleibenden Vorbild. Bis heute sind Elemente seines Vorschlags in unserer christlichen Identität erhalten.

Worum ging es? Bei den ersten Christen stand eines Tages die Frage an, welche Bedingungen man erfüllen muss, um Christ werden zu können. Die Apostel machten die Erfahrung, dass nicht nur Juden Christen werden wollten, sondern auch Heiden. Nachdem es bei den Aposteln unterschiedliche Vorstellungen gab, kamen alle wichtigen Leute in Jerusalem zusammen und diskutierten diese Frage. Es gab zwei Lager. Auf der einen Seite Paulus, der davon ausging, dass Gott auch Heiden, ohne dass sie sich beschneiden lassen müssen, unmittelbar Christ werden können. Auf der anderen Seite Petrus, der dafür plädierte, dass sich die bekehrten Heiden an die jüdischen Gebote halten müssen.

Jakobus, von Paulus als eine der Säulen der Kirche bezeichnet, machte einen Kompromissvorschlag. Er ergriff auf dem Apostelkonzil das Wort und formulierte einen Kompromissvorschlag, der ein ungestörtes Zusammenleben von Juden und Heiden ermöglichen sollte. Er sagte: „Darum halte ich es für richtig, den Heiden die sich zu Gott bekehren, keine Lasten aufzubürden, man weiße sie nur an, Verunreinigung durch Götzen(opferfleisch) und Unzucht zu meiden…“

Auf diesen Vorschlag Jakobus konnten sich die Apostel einigen. So wurde eine drohende Spaltung verhindert.

Ich meine, wir können von Jakobus dem Herrenbruder lernen, wie wertvoll und wichtig es ist Lösungen zwischen den verschiedenen Lagen zu finden. Lösungen die für beide Seiten akzeptabel sind und eine Zukunftsperspektive darstellen. Lösungen die niemanden im Regen stehen oder als Verlierer erscheinen lassen. Kompromisse die Abstriche von beiden Seiten verlangen, aber auch Entscheidendes der einzelnen Gruppen mit in die Lösung aufnimmt. Und schließlich muss die Lösung machbar sein.

Noch ein paar Anmerkungen: Diskutiert wird, ob Jakobus der Herrenbruder identisch ist mit Jakobus dem Sohn des Alphäus und wer denn den Brief des Jakobus geschrieben hat oder das Protoevangelium des Jakobus. Auch wird diskutiert, ob Jakobus ein Bruder Jesu war, bspw. aus einer ersten Ehe des Josef, oder ob Jakobus ein Vetter Jesu war. (Nach semitischer Auffassung werden Vetter auch „Brüder“ genannt.)

Der Brief des Jakobus jedenfalls zeigt ein Christentum, dem es um die Liebe zum Nächsten und um den Einsatz für die Armen geht, also um konkrete Taten. So ist ein bekanntes Wort aus dem Brief des Jakobus: „Denn wie der Körper ohne Geist tot ist, so ist auch der Glaube tot ohne Werke“ (Jak 2,26) Dabei geht es nicht um „Werkgerechtigkeit“. Vielmehr soll die Liebe Gottes im Leben der Christen sichtbar werden.

Jakobus wurde im Jahr 62 unrechtmäßig gesteinigt. Er bezeugte seinen Glauben bis zum Äußersten.