Von unseren Sinnen sind es unsere Augen, mit denen wir am meisten Informationen aus unserer Umgebung aufnehmen.

Am stärksten bekommen wir Kontakt zu anderen Personen durch unsere Augen.

An den Augen sehen wir, ob jemand sich wirklich freut oder ob er nur so tut, als ob er sich freuen würde.

Unsere Einstellungen und Interessen bestimmen, was wir mit unseren Augen „sehen". Schauen wir beispielsweise auf ein am Ortsrand liegendes Stück Brachland. Da sehen manche eine ökologische Nische für seltene Pflanzen und Schmetterlinge. Nachbarn sehen eventuell nur den Samenflug des Unkrauts, das den eigenen gepflegten Zierrasen überfällt. Oder jemand, der auf der Suche nach einem Bauplatz ist, schaut sich das Grundstück mit den „Augen" eines potentiellen Käufers an. Ein Imker, der auf der Suche nach einem Platz für das Aufstellen seiner Bienenstöcke ist, hat wieder eine völlig andere Sicht auf dasselbe Grundstück.

Unser Interesse, unsere Aufmerksamkeit, unsere Voreinstellung, unser gelernter und eingeübter Blick bestimmt, was wir wahrnehmen. Man kann sogar sagen, dass das was wir sehen, mindestens so viel über uns aussagt, als das, was wir sehen. Das gilt besonders für unsere Beziehungen. Sie bestimmen unsere Sichtweise: Sehen wir auf uns selbst, sehen wir meistens nur unsere guten Absichten, bei unseren Freunden sehen wir hauptsächlich ihre Taten. Bei unseren Gegnern schauen wir überwiegend auf ihre Fehler.

Die eigene Sichtweise kann sogar im Sinne der „sich selbst erfüllenden Prophezeiung" den Anderen positiv beeinflussen. Verändern wir unsere Sicht des Gegners hin zum Positiven: Sehen wir in ihm die guten Absichten, das Wertvolle, das Gute, führt das dazu, dass er dieses Gute und Positive entwickelt. Man schafft sich das, was man sieht. Es entsteht durch das „Sehen".

Der Apostel Philippus wird über das sinnenhafte Sehen, über das reine verstandesmäßige Sehen hin zum Verstehen geführt.

1. Als Jesus nach seiner Taufe im Jordan, Philippus traf, sagte er zu ihm: „Folge mir nach". Bald darauf berichtet Philippus seinem Freund, „dass sie den gefunden haben, über den bei Mose, im Gesetz und auch die Propheten geschrieben steht: Jesus aus Nazareth." Doch seinem Freund Nathanael passt das gar nicht: Er ist überzeugt, dass aus Nazareth nichts Gutes kommen kann.  Seine Sichtweise: Aus so einem Kaff kann kein Messias, kein Retter kommen! Nachdem Philippus keine überzeugenden Gegenargumente hatte, forderte er ihn einfach auf, sich ein eigenes Bild zu machen: „Komm und sieh!"  Er soll selber sehen

2. Philippus sieht bei der Szene der Brotvermehrung nur mit der Vernunft: Als er von Jesus gefragt wird. „Wo sollen wir Brot kaufen, damit diese Leute etwas zu essen haben?" meint Philippus: „Brot für 200 Denare reicht nicht aus, wenn jeder von ihnen auch nur ein kleines Stückchen bekommen soll". Er rechnet mit einem durchschnittlichen Jahreslohn und sieht realistisch: Das reicht nie und nimmer. Eine andere Möglichkeit sieht er nicht. Den meisten von uns ist diese Sicht der Dinge ganz vertraut. Wir sind gewohnt ökonomisch zu denken. Wir rechnen und je nach Ergebnis urteilen wir.

3. Jesus „lehrt" Philippus eine neue Sicht: In den sogenannten Abschiedsreden Jesu, möchte Philippus von Jesus, dass er ihnen den Vater (Gott) zeigt: „Herr, zeig uns den Vater, das genügt uns." Daraufhin sagt Jesus zu ihm: „Schon so lange bin ich bei euch, und du hast mich nicht erkannt, Philippus" Philippus möchte Gott sehen, so wie wir auch Gott sehen wollen. Die Antwort Jesu, kritisiert Philippus Sicht. Philippus hatte Jesus schon so lange „gesehen", aber ihn nicht wirklich gesehen: Ihn nicht erkannt. Philippus hat nicht gesehen, dass er, wenn er Jesus sieht, Gott sieht.

Die Bibel antwortet mit dieser Sicht auf Jesus. Sie antwortet, indem sie in Jesus den Christus sieht, indem sie in ihm das Grundmuster des Lebens sieht, indem sie das Sterben und das Auferstehen sieht, die Gesetze des Lebens, indem sie die Trennung zwischen Gott hier auf der Erde, bei uns und dem fernen Gott aufhebt.

Hätte Philippus mit anderen Augen geschaut, hätte er in Jesus Gott gesehen. Hätte er erkannt, wie Gott ist: Wie nah, wie hilfsbereit. Er hätte gesehen, wie sehr sich Gott den Schwachen und Hilflosen, den Bedürftigen und Verletzten, den Trauernden und Weinenden zuwendet. Er hätte erkannt, wie Gott uns begegnet, wie sehr auf „Augenhöhe“, ohne Macht und Gewalt, ohne Zwang und Druck. Er hätte gesehen, dass Gott dort erkannt werden kann, wo dem Menschen aufgeholfen wird, wo sie befreit werden, wo sie vom Rand zur Mitte geführt werden, wo Ausgestoßene hereingeführt werden.

Ich glaube, das ist auch für uns entscheidend: In Jesus sehen wir wie Gott ist, sehen wir wie Gott handelt, sehen wir seine Liebe, sehen wir sein heilendes und rettendes Eingreifen in die Geschichte der Welt und in meine persönliche Geschichte. Üben wir diese Sicht ein.