Eines der stärksten Anliegen von Papst Franziskus auch im jüngsten Rundschreiben „Laudato si“ ist es, sich für die Armen einzusetzen, das Gemeinwesen zu stärken und ungerechte Strukturen zu beseitigen. Eines der häufigsten Aussagen der Bibel befasst sich mit Reichtum und Armut. Moderne Sozialwissenschaften sehen in der extremen Armut eines der Gründe für Flucht, Gewalt und Krieg.
Die Vereinten Nationen haben auf ihrer Agenda 2030 als Ziel Nr. 1 die Beseitigung von Armut gesetzt. Ist jemand in den industrialisierten Staaten von Armut betroffen, versucht er sie zu verstecken. Man schämt sich arm zu sein. Statistisch sind Arme häufiger krank, leiden psychisch stärker, leben ungesünder und sterben früher. Armut wird von einer Generation zur Andern weitergegeben. Vererbt wird nicht nur Armut, sondern auch die mit Armut verbundenen Einstellungen: Die Weltsicht, die Selbstwahrnehmung, die Selbsteinschätzung und die Überzeugung durch eigene Anstrengungen nicht viel verändern zu können…. Armut ist zusammengefasst ein Übel!
Doch warum gibt es so wenig Anstrengung, Armut zu beseitigen? Einer der Gründe ist sicher, dass wir zu wenig über das Ausmaß der Armut wissen. Armut kommt in unserer unmittelbaren Umgebung kaum vor und wenn, versteckt sie sich, dann sehen wir sie auch nicht. Sicher spielt auch eine Rolle, dass wir die Tatsache der Armut kaum an uns ranlassen, denn dann müssten wir vielleicht etwas abgeben, etwas verändern, etwas tun. Oder müssten zugeben, dass es nicht unser Verdienst ist, nicht arm zu sein, sondern Zufall, Schicksal,…
Um an diesem Übel etwas zu verändern, ist ein erster Schritt zu schauen, wie sieht die Verteilung von Armut, bzw. Reichtum objektiv aus?
Die meisten von uns haben konkrete Vorstellungen über die Verteilung von Armut. Wir denken meist von unserem Standpunkt aus, von dem was wir sehen und erleben.
Überlegen wir einmal wie Armut verteilt ist. Dazu stellen wir uns vor, beispielsweise die Amerikaner werden nacheinander aufgereiht nach dem wie viel sie besitzen. Auf der rechten Seite stehen die Ärmsten, auf der linken die Reichsten. Damit wir vergleichen können, fassen wir in jeweils 20% Gruppen zusammen: Also stehen auf der rechten Seite die 20% der ärmsten Menschen, auf der linken die 20% der reichsten Menschen.
Nun schätzen Sie mal, wie viel Vermögen besitzen die 20% der ärmsten Amerikaner. Schätzen sie die Verteilung des gesamten Vermögens auf die jeweiligen Bevölkerungsschichten ein:
20% der Reichsten |
20% |
20% |
20% |
20% der Ärmsten |
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Wenn Sie so denken wie die meisten Menschen, haben sie folgende Vermögensverteilung geschätzt: Im Folgenden sind die Ergebnisse von repräsentativen Umfragen dargestellt:
20% der Reichsten |
20% |
20% |
20% |
20% der Ärmsten |
58,5 % |
20,2% |
12 % |
6,4 % |
2,9% |
Nun wollen wir mal sehen, wie die tatsächliche Verteilung des Vermögens aussieht:
20% der Reichsten |
20% |
20% |
20% |
20% der Ärmsten |
84,4% |
11,3% |
3,9% |
0,2% |
0,1% |
Tatsächlich besitzen die 40% der Ärmsten nur 0,3% des Vermögens. Das ist deutlich weniger als wir denken. Mit andern Worten: Wir wissen nicht wie groß die Armut wirklich ist. Wir unterschätzen die Verbreitung von Armut. Wie groß die Armut ist, ist uns nicht klar.
Gehen wir einen Schritt weiter und fragen uns, wie für uns eine gerechte und faire Gesellschaft aussieht. John Rawls hatte die Idee, dass wir uns vorstellen sollten, wie für uns eine gerechte Gesellschaft aussehen würde, von der wir nicht wüssten, welchen Platz wir darin einnehmen würden. Wir sollen versuchen, uns eine Gesellschaft vorzustellen, die ohne unsere jetzigen Erfahrungen, die Erfahrungen einer bestimmten Position, wie sie aufgebaut sein müsste, um sie als fair bezeichnen zu können. Dieses Nichtwissen um unseren Platz in der Gesellschaft bezeichnet Rawls als „Schleier des Nichtwissens“. Wie sähe nach dieser Überlegung eine gerechte Gesellschaft aus? Wahrscheinlich würde man dann keine Gesellschaft wählen, in der es Leibeigene oder Sklaven gibt, in der ethnische oder religiöse Minderheiten verfolgt würden. Denn man wüsste ja nicht, ob man als Mitglied einer solchen Gruppen auf die Welt käme und sein Dasein fristen müsste. Oder, auf Armut angewandt, würde man keine Gesellschaft wählen, in der es absolute Armut gibt, denn man könnte ja nicht hinter den Schleier gucken und wüsste nicht, ob man vielleicht als völlig Armer starten müsste.
Nach solchen Überlegungen: Wie sollte das Vermögen verteilt sein? Schätzen sie ein, wie viel Vermögen sollten die Ärmsten besitzen
20% der Reichsten |
20% |
20% |
20% |
20% der Ärmsten |
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Auch hier gibt es Umfragen, die in den unterschiedlichsten Ländern durchgeführt wurden. Die Umfrageergebnisse sind „überall“ ähnlich. Konkret wünschen sich die Menschen folgende Vermögensverteilung:
20% der Reichsten |
20% |
20% |
20% |
20% der Ärmsten |
31,9% |
22% |
21,5% |
14,1% |
10,5% |
Interessant ist, dass nirgends absolut gleiche Verteilung von Vermögen als ideal angesehen wird. Der Unterschied soll zwischen den Ärmsten und den Reichsten rund das 3 fache betragen. Mit anderen Worten sollen die Ärmsten nur 3 Mal weniger haben wie die Reichsten.
Auch hier existiert ein massiver Unterschied zwischen einer, als gerecht empfundenen Gesellschaft und der konkret realen Gesellschaft. Gerecht wäre es, wenn die Ärmsten 10,5 % des Vermögens hätten, tatsächlich aber haben sie, wie oben ersichtlich, nur 0,1 % des Vermögens. Der Wunsch übersteigt die Realität um mehr als das Hundertfache.