Zusammenleben gelingt, wenn wir uns an die bewährten alten Weisheiten halten. Weisheiten die über Jahrhunderte, mehr noch, über Jahrtausende entstanden sind. Weisheiten die auf Millionen Jahre Evolution aufbauen und die sich als Regeln zwischen uns herauskristallisiert und etabliert haben. Sie sind für uns, als Gefühle wahrnehmbar und prägen unser Verhalten. Wenn sich beispielsweise jemand uns gegenüber freundlich und kooperativ verhält, dann verhalten wir uns ihm gegenüber wahrscheinlich ebenso. Genau umgekehrt ist es, wenn sich jemand uns gegenüber egoistisch verhält, dann verhalten wir uns wahrscheinlich ebenso egoistisch.

Auf diesem Hintergrund baut sich die goldene Regel auf: „Was du nicht willst, das man dir tut, das füg auch keinem andern zu." Oder wie es im „Alten Testament" heißt: „Liebe deinen Nächsten, wie dich selbst". Bei diesen Regeln ist das Ausgangsmaß, die eigene Person. Je nachdem, wie man sich selbst wahrnimmt, kann es Unterschiede geben, in der Liebe zum Nächsten. Abhängig vom Maß. wie sehr man sich mag. Die Eichung ist auf die eigene Person bezogen, ist also sehr individualistisch und dazu noch relativ. Es gibt kein objektives Maß. Völlig anders ist es, wenn man auf die Worte Jesu hört. Er sagt: „Liebt einander, so wie ich euch geliebt habe." Oder, wenn man guckt wie Jesus handelt: Er hat sein Leben für die Menschen hingegeben. Es gibt keine größere Liebe. Seine Liebe ist absolut. Sie ist total. Nicht relativ und nicht von Umständen und Stimmung abhängig. Im selben Absatz, weiter vorne sagt Jesus: „Wie mich der Vater geliebt hat, so habe auch ich euch geliebt. Bleibt in meiner Liebe!" Die Liebe wie Jesus sie lehrt und lebt ist nicht nur absolut und maßlos. Seine Liebe fliest auch vom Absoluten zu ihm und über ihn zu uns. In ihm, sind wir in den Liebesstrom Gottes eingebunden.

Johannes der Jünger den Jesus liebte, erfuhr diese maßlose Liebe. Liebe die sich nicht in den Begrenzungen unseres Menschseins verfängt. Liebe, die nicht an der Angst ausgenützt zu werden, scheitert. Liebe die ihre Quelle nicht im Endlichen hat, sondern die hinabreicht in den unauslotbaren Ursprung unseres Daseins. Liebe, die eingebunden ist, in den Fluss des Lebens. Liebe die antwortet auf die tiefste Sehnsucht nach Zugehörigkeit.

Johannes stand vielleicht, so getragen von dieser Liebe, unter dem Kreuz, zusammen mit seiner Mutter und den anderen Frauen. Vielleicht ist es diese „wie du mir, so ich dir" Mentalität oder eine bloße Kooperation, ja selbst die „goldene Regel" übersteigende Liebe, die den Schmerz des Mitleidens tragen und ertragen kann. Eine Verbundenheit mit dem Leidenden, die größer ist, als die Flucht vor dem unausweichlichem Leid.

Johannes wurde vielleicht durch seine Liebe zu Jesus motiviert, schneller am Grab von Jesus zu sein, als der ältere Petrus. Nachdem ihnen von den Frauen gesagt worden war, dass das Grab Jesu leer ist. Oder lag es nur an seiner körperlichen Fitness? (Meist kommt beim Erfolg mehreres zusammen.)

Johannes ist es auch, der vielleicht, durch die Augen der Liebe, den Auferstandenen Christus, als erster am Ufer des Sees erkennt. Augen der Liebe sehen durch ihren „gerichteten Blick" sehr leicht den Geliebten. Sie sehen überall Zeichen und Symbole, die an den Geliebten erinnern. (Vielleicht ein blödes Beispiel: Liebe schafft es, in den Wolken das Gesicht des Geliebten zu erblicken.)

Später gehört Johannes zu den Säulen der Gemeinde in Jerusalem. Er ist es auch, der zusammen mit Petrus vor dem Hohen Rat steht und „unmöglich schweigen kann, über das was (er) sie gesehen und gehört haben (hat)" (Apg 4,20). Er heilt mit Petrus den Gelähmten im Tempel. Ein paar Beispiele was Johannes alles gesehen und gehört hat: Johannes war bei der Heilung der Tochter des Jairus und bei der Heilung der Schwiegermutter von Petrus mit dabei; er war mit auf dem Berg der Verklärung mit dabei, aber auch auf dem Ölberg, wo sie aufgefordert werden, Zeugnis abzulegen und im Garten Getsemani. Er bereitete den Abendmahlssaal vor und ruhte an der Seite von Jesus. Er ist es, der ausgesandt wird, um seine Brüder, die das Evangelium angenommen haben zu stärken. Er betet für die Brüder in Samarien, damit sie den Heiligen Geist empfangen.

Liebe ist es, die auch heute Menschen bewegen will, andern zu dienen, sie zu stärken. Liebe schafft Verbindung, wo Trennung ist.

In 1 Johannes 4. Kapitel Vers 8 und in Vers 16 heißt es klar und eindeutig: „Gott ist die Liebe“. Im 16 Vers heißt es dann weiter: „und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott bleibt in ihm." Gott ist Beziehung. Wir Menschen wurden als sein Abbild geschaffen, als Gemeinschaft. In Genesis heißt es: „Lasst uns Menschen machen als unser Abbild, uns ähnlich". Wenn Gott von sich spricht und dabei „uns" sagt, bedeutet das, dass er Gemeinschaft ist. Wenn wir von Vater, Sohn und Hl. Geist sprechen, meint dies, dass Gott Gemeinschaft ist. Und wir sind in Christus in diese absolute, ewige Liebe hineingenommen. Und wer in dieser Liebe ist, ist in Gott.

Lassen wir uns, wie Johannes, hineinnehmen in diesen göttlichen Liebesfluss. Lassen wir uns unsere blinden Augen öffnen, damit wir immer und überall das lebendige Strömen seiner Liebe sehen. Lassen wir uns, wie sein „Lieblingsjünger", von seiner Liebe berühren.