„Dem Kind geht es gut, wenn es ihm so gehen darf, wie es ihm geht“, sagt der dänische Familientherapeut Jesper Juul. Man könnte den Satz ausweiten und sagen, dem Menschen geht es gut, wenn es ihm so gehen darf, wie es ihm geht. Oder meinem Partner, meinen Freunden,… geht es gut, wenn es ihnen so gehen darf, wie es ihnen geht.
Dass es dem andern gut geht, ist - denke ich - das Ziel jeder menschlichen Begegnung.
Und doch möchten wir den anderen oft so haben, wie wir ihn haben wollen. Am besten soll er sich unseren Vorstellungen anpassen, soll so sein, wie wir ihn brauchen, wie er für uns nützlich ist.
An Palmsonntag wird uns diese Problematik vor Augen geführt: Jesus zieht in Jerusalem ein. Die Leute gehen vor ihm her und legen aus ihren Kleidern und Zweigen eine Art „roten Teppich“ vor ihm aus. Sie bereiten Jesus einen grandiosen Empfang. Jubeln ihm zu, gehen neben ihm her und rufen beständig „Hosanna“, das heißt: Rette uns, hilf uns! Das ist nur eine Woche vor den Rufen „Kreuzige ihn“ und vor seinem gewaltsamen Tod.
Offensichtlich bestanden gewaltige Differenzen zwischen den Erwartungen seiner Fans, bei der begeisterten Begrüßung in der Heiligen Stadt und dem, was Jesus ihnen geben wollte. Waren, die Leute nicht maßlos enttäuscht von Jesus, dass er eben nicht derjenige war, für den sie ihn hielten oder genauer gesagt, dass er ein ganz anderes Verständnis davon hatte, wie der „König von Israel“ sein sollte.
Die Leute wollten bestimmen, was Jesus tun sollte. Doch, die Menschen, die ihm zujubelten, mussten feststellen: Dieser Jesus tut nicht das, was sie wollten und er entspricht nicht dem Bild, das sie von ihm hatten. Jesus sollte so sein, wie die Menschen dachten, dass er sein muss.
Überhaupt, ging es den Leuten in Wirklichkeit gar nicht um die Person Jesus, sondern nur um den Nutzen, den er ihnen bringen sollte? Waren sie also nur daran interessiert, dass er seine Funktion erfüllt, die man ihm zuschrieb, nämlich die verhassten Römer aus dem Land zu jagen? Sollte er für sie nur Mittel zum Zweck sein?
Fest steht, Jesus widersetzt sich diesen Erwartungen, erfüllt nicht ihre Wünsche, kommt nicht als Mächtiger in die Stadt und befreit sie auch nicht mit Gewalt vom Joch der Besatzung, er enttäuscht seine „Fans“ und lässt sich nicht gebrauchen für deren Zwecke. So geschieht, was in solchen Fällen wohl immer geschieht, dass das Lob, der Jubel, die Begeisterung für ihn umschlägt in Hass und Wut. Und dieser Hass gilt jetzt seiner Person, denn er ist es ja, der die Erwartungen, die man an ihn stellte nicht erfüllte. Er ist es ja, der die „Investitionen“ in ihn, ohne Ertrag lässt. Also muss er bestraft werden. Einsam, unsäglich allein ist er jetzt. Verlassen und ohne Freunde.
Wenn man die Alternative für Jesus überlegt, was wäre gewesen, wenn er den Erwartungen der Menschen entsprochen hätte? Hätte sich etwas geändert an den Beziehungen zu ihm, ich meine jetzt zu ihm als Person? Hätte man ihn geachtet und geliebt, oder nur den Nutzen den er gebracht hätte geliebt?
Ich meine: Der andere ist nicht dafür da, so zu sein wie man ihn braucht zum eigenen Wohl, zum eigenen Glück, für den eigenen Zweck. Der andere erfüllt nicht die Funktion, die man ihm zugeschrieben hat. Dem andern geht es nur gut, wenn er derjenige sein darf, der er ist und wenn er geachtet wird, als Person, als Mensch, wenn er nicht funktionalisiert wird, nicht wegen seines Nutzens für einen Selbst geschätzt wird.
Das ist die Herausforderung des Palmsonntags: Seine Mitmenschen, seine Freunde, Familie,… lieben und achten gerade auch dann, wenn sie für einen Selbst keinen Nutzen, keinen Zweck haben, denn nur so kann es ihnen gut gehen.
Angewendet auf Gott könnte das heißen: Gott als „Person“ achten und lieben, auch dann, wenn er einem selbst keinen konkreten Nutzen bringt. Mit Gott auch dann in Beziehung sein und mit ihm reden, wenn es einem „nichts“ bringt.
Auf der anderen Seite heißt Palmsonntag auch, sich ermutigen lassen von Jesus, sich selbst zu sein, seinen eigenen Überzeugungen gemäß zu leben und der „Droge“ Ansehen, Ruhm und Ehre zu widerstehen. Dem Schein zu widerstehen, dass man als Person geliebt wird, nur weil man nützlich ist.
Insofern ist die Geschichte vom Palmsonntag eine Befreiungsgeschichte, sie befreit von der Funktionalisierung des Menschen durch den Menschen, sie befreit zur gewaltfreien Begegnung der Menschen untereinander. Dem Menschen darf es gehen, wie es ihm geht. Sie befreit zur wirklichen Liebe und Achtung ohne Berechnung.